Neue Familienstrukturen durch den demographischen Wandel
„Wie ändern sich familiäre Strukturen in Folge des demografischen Wandels weltweit und welche Auswirkungen hat dies auf die Familie als Unterstützungssystem?“
Diesen Fragen ist Diego Alburez-Gutierrez, Leiter der Forschungsgruppe ‚Ungleichheiten in Verwandtschaftsbeziehungen‘ am Max-Planck-Institut für demografische Forschung (MPIDR) in Rostock nachgegangen. Zusammen mit Ivan Williams von der Universität Buenos Aires und Hal Caswell von der Universität Amsterdam hat er kürzlich eine Studie (1) zu diesem Thema veröffentlicht.
Der Studie nach nimmt global nicht nur die Zahl lebender Verwandter ab, auch die Strukturen ändern sich: Menschen werden weniger Tanten, Onkel, Cousinen und Cousins haben. Dafür steigt die Zahl von Urgroßeltern und Großeltern.¹
Immer kleinere Familien
Die Studie zeigt zum einen große Unterschiede in der Familiengröße. Die Familiengröße wird definiert als Anzahl der lebenden Urgroßeltern, Großeltern, Eltern, Kinder, Enkel und Urenkel, Tanten und Onkel, Nichten und Neffen, Geschwister und Cousins. In allen Weltregionen wird die Familiengröße abnehmen, so die Forscher.
Am deutlichsten in Südamerika und in der Karibik. Eine 65-jährige Frau hatte 1950 dort im Durchschnitt 56 lebende Verwandte. Im Jahr 2095 werden es voraussichtlich nur noch 18,3 Verwandte sein – ein Rückgang um 67 Prozent.
In Nordamerika und Europa, wo die Familien schon heute vergleichsweise klein sind, werden die Veränderungen weniger ausgeprägt sein. Hier hatte eine Frau im Alter von 65 Jahren im Jahr 1950 etwa 25 lebende Verwandte, im Jahr 2095 werden es nur noch 15,9 sein. Die weltweiten Familiengrößen werden sich bis 2095 diesem Niveau annähern.
aus: Pressemitteilung des Max- Planck-Instituts für demografische Forschung vom 8. Januar 2024 (2)
Geringere Unterstützung innerhalb der eigenen Familie
Weniger Verwandte und mehr (Ur-)Großeltern wirken sich auf das Hilfe- und Unterstützungspotential innerhalb der Familien aus. Zwar könnten sich theoretisch (Ur-)Großeltern verstärkt um Enkelkinder kümmern, doch steigt bei Großeltern und Urgroßeltern auch das Risiko der Pflegebedürftigkeit.
Immer weniger Jüngere sind somit stärker gefordert, sich nicht nur um den eigenen Nachwuchs, sondern auch um die ältere Generation zu kümmern. Daher unterstreicht die Studie die Notwendigkeit, in institutionelle soziale Unterstützungssysteme zu investieren.
Zunehmende Herausforderungen für die rechtliche Vorsorge und die rechtliche Betreuung
Die Zahl der bei der Bundesnotarkammer (Zentrales Vorsorgeregister) registrierten Vorsorgedokumente steigt beständig: pro Jahr etwa um 300.000 auf aktuell circa 6 Mio. Dokumente.
Durch die Veränderungen in Familiengrößen und -strukturen werden sich auch die Möglichkeiten für Vorsorgemaßnahmen verändern müssen. Schon heute wissen viele ältere oder alleinstehende Menschen nicht, wen sie als Vertraute bevollmächtigen könnten, um dadurch eine rechtliche Betreuung zu vermeiden. Oft leben die nächsten Angehörigen weit entfernt oder im Ausland.
Im Fall einer rechtliche Betreuung gibt es zwei Möglichkeiten: die ehrenamtlich oder die beruflich geführten Betreuungen. Es zeigt sich, dass seit Jahren der Anteil ehrenamtlich geführter Betreuungen durch Angehörige oder Vereinsbetreuer:innen zurückgeht. Der Anteil der beruflich geführten Betreuungen steigt dagegen. (3)
Laut der Statistik des Zentralen Vorsorgeregisters erfolgen jährlich etwa 200.000 Anfragen von Betreuungsgerichten. Diese ermitteln dort im Rahmen von Betreuungsverfahren, ob Bevollmächtigte für Betroffene registriert sind. Dies gelingt meist nur in circa 10% der Anfragen.
Im Umkehrschluss heißt das, dass für etwa 180.000 Menschen in Deutschland rechtliche Vertretungen eingesetzt werden müssen.
Auch Du solltest deine eigene Vorsorge angehen!
Betreuungsgerichte sind bereits heute überlastet und potentielle rechtliche Betreuer:innen finden sich immer seltener (4,5). Ein Dilemma für Vorsorgewillige ohne Vertraute.
Das Thema der rechtlichen Vorsorge geht jede:n in jedem Alter an! Auch wenn Du niemanden kennst, denn Du bevollmächtigen kannst oder möchtest, gibt es viel, was Du tun kannst. Mehr darüber erfährst Du in unserem Blogbeitrag „8 Tipps für Alleinstehende„.
Quellen:
(1) Originalstudie:
‚Projections of human kinship for all countries‘, 19.12.2023,
(https://www.pnas.org/doi/10.1073/pnas.2315722120)
(2) Pressemitteilung des Max- Planck-Instituts für demografische Forschung vom 8. Januar 2024
(4) NDR, 28.03.2022