Was ist das eigentlich, eine Betreuungsstelle oder Betreuungsbehörde?
Wir haben es hier mit örtlichen Behörden zu tun, die sich um alle Belange im Zusammenhang mit den bundesweit gültigen Betreuungsrecht kümmern. Dieses regelt seit 1992 die rechtliche Betreuung von Volljährigen.
Betreuungsbehörden arbeiten eng mit den Betreuungsgerichten zusammen. Sie werden eingeschaltet, wenn sich jemand vorübergehend oder langfristig nicht mehr selbst um seine Angelegenheiten kümmern kann und niemanden vorher dazu bevollmächtigt hat.
Die genauen Aufgaben und ihre Ansiedelung regelt das jeweilige Landesrecht der Bundesländer. Betreuungsstellen oder -behörden sind meist ein Teilbereich bei Sozial- oder Gesundheitsämtern.
Öffentlichkeitsarbeit gehört ebenfalls zu den Aufgaben der Betreuungsbehörden. Bürger:innen erhalten Informationen zu Vorsorgevollmacht, Betreuungs- und Patientenverfügung und können ihre Vorsorgedokumente dort öffentlich beglaubigen lassen.
Interview mit Frau Falkenberg und Herrn Sommerschwall von der Betreuungsstelle der Landeshauptstadt München
Wir haben die Betreuungsstelle der Landeshauptstadt (LH) München angefragt, unseren Leser:innen Einblicke in die Situation vor Ort zu geben.
Regle Deinen Kram:
Herzlichen Dank Frau Falkenberg und Herr Sommerschwall, dass Sie uns für dieses Interview zur Verfügung stehen. Sie sind als Sachgebietsleitung bzw. als Teamleitung bei der Betreuungsstelle München tätig, einer kommunalen Behörde, die beim Thema “Rechtliche Betreuungen” in der Landeshauptstadt München eingeschaltet wird. Zu Ihrem Aufgabenbereich gehört auch die Aufklärung über Vorsorgedokumente wie Vorsorgevollmacht und Betreuungsverfügung.
Wie müssen sich unsere Leser:innen die Arbeit der Betreuungsstelle vorstellen? Wo ist diese angesiedelt und wie ist sie strukturiert?
Die Betreuungsstelle ist im Sozialreferat der Landeshauptstadt München und dort im Amt für Soziale Sicherung angebunden. Die Abteilung heißt Schuldner- und Insolvenzberatung/Betreuungsstelle.
Wie groß ist das Team der Betreuungsstelle?
Insgesamt umfasst die Betreuungsstelle 65 Mitarbeiter, d:innen, davon sind fünf Personen Teamleitungen und 50 Personen sind in der Sachbearbeitung tätig. Zehn Personen sind für Verwaltung und sonstige Aufgaben zuständig.
Unter den rechtlich Betreuten sind Volljährige aller Altersgruppen
Mit diesem sehr großen Team sind Sie sicherlich mit vielen rechtlichen Betreuungen befasst.
Hier interessieren uns auch einige Zahlen.

Mit wie vielen Betreuungsanregungen haben Sie pro Jahr zu tun und wie viele Menschen stehen hier in München aktuell unter rechtlicher Betreuung?
Wir verzeichnen ca. 6000 Betreuungsanregungen pro Jahr. In München haben ca. 13.000 Menschen eine rechtliche Betreuung (Stand 2022). In Deutschland sind es aktuell 1,3 Millionen.
(Anmerkung d. Red.:
Seit 2020 veröffentlicht das Bundesjustizamt detaillierte Statistiken zur rechtlichen Betreuung bundesweit und in den Bundesländern, siehe unten)
Wie sieht die Altersverteilung der rechtlich Betreuten denn für die Gruppe der unter 60-Jährigen und der Gruppe der über 60-Jährigen aus?
Etwa 60 % der rechtlich Betreuten sind über 60 und etwa. 40 % sind unter 60 Jahre alt.
Wie viele rechtlich betreute Menschen können sich noch klar und stabil zu ihren Wünschen äußern im Vergleich zu den rechtlich Betreuten, die dies beispielsweise aufgrund einer psychischen oder dementiellen Erkrankung nicht mehr können?
Ca. 2/3 können ihre Wünsche noch klar formulieren, ca. 1/3 nicht mehr.
Wie gehen rechtliche Betreuer:innen als auch Bevollmächtigte vor allem bei letzterem Fall mit der Herausforderung um, den “tatsächlichen” Willen des Betroffenen zu ergründen, um diesen nach Möglichkeit zu erfüllen?
Bei Betreuten oder Vollmachtgeber:innen, die ihre Wünsche nicht mehr äußern können, können ggf. nahestehende Personen befragt werden. Ansonsten ist der mutmaßliche Wille maßgebend.
Ehrenamtliche Betreuer:innen und Berufsbetreuer:innen übernehmen rechtliche Betreuungen

Wer übernimmt die rechtlichen Betreuungen und mit welchen Kosten ist dies für die Betreuten verbunden?
In erster Priorität stehen ehrenamtliche Betreuer:innen (Angehörige oder durch einen Betreuungsverein vermittelte ehrenamtliche Fremdbetreuer:innen).
Familiäre ehrenamtliche Betreuer:innen betreuen in der Regel eine Person, ehrenamtliche Fremdbetreuer:innen bis zu drei Personen. Die Aufwandsentschädigung beträgt aktuell 425 Euro pro Jahr.
In zweiter Priorität sind Vereins- und Berufsbetreuer:innen aktiv. Vereinsbetreuer:innen betreuen bei Vollzeittätigkeit ca. 40 Personen und Berufsbetreuer:innen ca. 60 Personen. Die Vergütung richtet sich nach Dauer der Betreuung, Ausbildung des Betreuers oder der Betreuerin und Vermögensverhältnissen der Betreuten.
In welchem prozentualen Verhältnis stehen die beiden Gruppen derzeit in München?
Das Verhältnis Ehrenamt zu Berufsbetreuung beträgt rund 40:60.
Sind über die Jahre hier Veränderungen zu beobachten und sind hier in den kommenden Jahren weitere Verschiebungen zu erwarten?
Eher nein.
Der demografische Wandel und sich verändernde Familienstrukturen lassen einen Anstieg rechtlicher Betreuungen erwarten. Wie bereiten sich kommunale Stellen wie die Ihre darauf vor? Bereits heute werden überall rechtliche Betreuer:innen gesucht.
Wir bereiten uns mit Werbemaßnahmen für Berufsbetreuer:innen auf die demografische Entwicklung vor. Die Zahl der ehrenamtlichen Fremdbetreuer:innen (Vermittlung durch Betreuungsvereine) ist eher rückläufig.
Banken müssen Vorsorgevollmachten anerkennen
Welche konkreten Tipps können Sie unseren Leser:innen mitgeben?

Was würden Sie alleinstehenden Menschen ohne Vertrauensperson im Hinblick auf Vorsorgemaßnahmen raten? Kann es sinnvoll sein, auch Nachbarn und Freunde einzubinden und diesen für einzelne Bereiche wie beispielsweise Post oder Behördenangelegenheiten Vollmachten zu erteilen?
Unseres Erachtens sollte ein besonderes Vertrauensverhältnis zu der Person bestehen, der eine Vollmacht erteilt wird, da die Gefahr des Missbrauchs besteht, insbesondere bei hohem Vermögen und Grundbesitz.
Eine sehr konkrete Frage betrifft Bankvollmachten. Banken verlangen häufig eigene Vollmachten (mit sofortiger Gültigkeit), obwohl Gerichtsurteile die Gültigkeit von Vorsorgevollmachten (auch ohne Beglaubigungen) bereits bestätigt haben. Mit der Haltung der Banken wird Vollmachtgebern die Möglichkeit verwehrt, den Zugriff erst zu einem späteren Zeitpunkt durch Vorlage einer Vorsorgevollmacht zu gewähren. Was raten Sie Vollmachtgeber:innen und Vollmachtnehmer:innen im Umgang mit Banken?
Es wird angeraten, den Weg über die Leitungen der Bank zu gehen (Vorstand), falls Vollmachten nicht anerkannt werden. Andernfalls raten wir den Weg über Schlichtungsstellen (Bankenombudsmann) oder über die staatliche Bankenaufsicht.
Sensibilisierung bei jungen Menschen und Menschen mit Migrationsgeschichte ist wichtig
Die beiden letzten Fragen beziehen sich auf die Aufklärungsarbeit zum Thema rechtliche Vorsorge bei verschiedenen Zielgruppen.

Häufig konzentriert sich die Aufklärung zu Vorsorgedokumenten auf ältere Menschen. Doch Unfälle oder schwere Erkrankungen betreffen auch junge Menschen, für die das Vorsorge-Thema sehr weit weg ist. Wie könnte man diese Zielgruppe erreichen? Gibt es dazu strategische Überlegungen in der Stadt München oder Einrichtungen, die sich dieser schwierigen Aufgabe der Aufklärung annehmen?
Es ist nicht ganz einfach, die Zielgruppe der jungen Volljährigen zu erreichen. Wir versuchen über Hausarztpraxen eine möglichst vielschichtige Aufklärung und Sensibilisierung zu erreichen. Zudem werden Vorträge angeboten und wir sind bei Aktionstagen mit Infoständen aktiv. Auch bei vielen älteren Menschen ist immer noch in den Köpfen, dass es noch Zeit hat und dass die nahen Angehörigen auch ohne eine bestehende Vollmacht für einen entscheiden und handeln könnten. Zwar wurde 2023 das Ehegattennotvertretungsrecht eingeführt, aber dies gilt auch nur zwischen Ehegatten und nur für akute Krankheitssituationen und für sechs Monate.
Eine weitere Zielgruppe, für die das Thema relevant ist, sind Menschen mit Migrationsgeschichte. Sie stammen aus vielfältigen Kulturkreisen und leben hier zum Teil schon seit vielen Jahren oder Jahrzehnten. Dennoch gibt es viele Sprachbarrieren, besonders bei juristischen Fachbegriffen. In vielen Kulturen herrscht zudem die Überzeugung vor, dass das Familienoberhaupt alles entscheidet. Doch das deutsche Betreuungsrecht gilt für alle Menschen, die in Deutschland ansässig sind. Wie könnte man die Aufklärungsarbeit hier voranbringen?
Die Betreuungsstelle ist in allen relevanten Migrationsgremien der Landeshauptstadt München vertreten und versucht durch weitere niederschwellige Aufklärungsarbeit die Zielgruppe der Menschen mit Migrantionshintergrund zu erreichen.
Herzlichen Dank Frau Falkenberg und Herr Sommerschwall!
Weitere Informationen:
Betreuungsstelle der Landeshauptstadt München
Mathildenstraße 3 a
80336 München
Telefon 089 233 26 255
Informationen zu Vorsorgevollmachten sowie zu Fragen der rechtlichen Betreuung / gesetzlichen Vertretung unter anderem einmal pro Monat (15-17 Uhr) in der Stadtinformation im Rathaus, Marienplatz.
Statistische Angaben:
Statistische Angaben über rechtliche Betreuungen in Deutschland werden über das Bundesjustizamt (Justizstatistiken) veröffentlicht.
Die letzte bundesweite Statistik stammt aus dem Jahr 2022 und weist knapp 1,2 Mio. rechtlich Betreute aus. (Aus zwei Bundesländern wurden keine Angaben gemeldet.)
Im besagten Jahr gab es etwa 300.000 Neuzugänge. Etwa 400.000 Angehörige waren als rechtliche Betreuer:innen ausgewiesen.